Was eine kasachische Lehrerin am OHG erlebt

Dieser Artikel erschien am 20.11.2024 in der Frankenpost:

Anastassiya Rybolova hospitiert zwei Wochen am Otto-Hahn-Gymnasium in Marktredwitz. Sie hält viel vom bayerischen Schulsystem. Mit der Deutschen Bahn hat sie ein besonderes Erlebnis.

Wenn Anastassiya Rybolova einem Schüler eine Schulaufgabe mit der Note fünf zurückgibt, lächelt sie anerkennend. Nein, die 30 Jahre alte Lehrerin für Deutsch und Englisch ist keine Zynikerin. Sie meint es ehrlich. Anastassiya Rybolova unterrichtet an einem Gymnasium in Kasachstan. Und in dem asiatischen Staat ist eine Fünf, was in Deutschland die Eins ist. Goldstandard sozusagen.

Der erste Eindruck

5902 Kilometer liegen zwischen Marktredwitz und Öskemen, einer 375 000-Einwohner-Stadt ganz im Osten des Riesenstaats. Die körperlich kleine, aber kecke junge Frau ist für zwei Wochen Hospitantin am Otto-Hahn-Gymnasium in Marktredwitz. Schulleiter Stefan Niedermeier bewirbt sich mit seiner Schule Jahr um Jahr bei einem Austauschprogramm der Kultusministerkonferenz. Dieses Jahr zog Rybolova das große Los. Ihr erster Eindruck? „Ich war erstaunt, in welch gutem Zustand die Klassenzimmer und wie hochwertig sie ausgestattet sind. Dass ganze Schulklassen vorwiegend mit dem iPad arbeiten, ist interessant. Bei uns müssen die Schüler noch viele Bücher und Hefte mitbringen.“ Es gibt weitere Unterschiede zwischen dem Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) und ihrer Schule in Öskemen. So etwa die Trennung zwischen den Schultypen. Diese kennt das kasachische System nicht. Von der ersten bis zur elften Klasse bleiben alle Kinder und Jugendliche in einer Schule. Und dass Lehrer derart unterschiedliche Fächer wie Deutsch und Sport unterrichten, hält die junge Frau für ungewöhnlich. Eine derart breite Fächerwahl kennen sie und ihre Kollegen nicht.

Saure Zipfl beim „Chef“

Während der zwei Wochen in Deutschland wohnt die Frau, die in Öskemen mit Mann und Tochter lebt, bei Schulleiter Stefan Niedermeier. Der „Chef“ gibt ihr nicht nur Quartier, er zeigt ihr auch die Umgebung. „Wir waren in Nürnberg, Bayreuth, im Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale, in Kemnath und im Deutsch-Deuschen Museum in Mödlareuth.“ Zu Hause bei Niedermeier steht allerdings nicht nur Bildung auf dem Programm. „Ich habe schon für meinen Gast saure Zipfl und Sauerbraten gekocht“, sagt der Schulleiter nicht ganz ohne Stolz.

Im OHG findet sich Anastassiya Rybolova bereits bestens zurecht. In einer Klasse gestaltete sie eine Stunde zur Landeskunde über Kasachstan. Wie Stefan Niedermeier sagt, ist das asiatische Land, dessen Fläche knapp achtmal größer als Deutschland ist, aber in dem nur etwas mehr als 20 Millionen Menschen wohnen, vor Jahren noch vielen Schülern kaum bekannt gewesen. Dies habe sich mittlerweile geändert.

Ein vertrauter Abschiedsgruß

Was auch daran liegen mag, dass zahlreiche Schüler mit aus Kasachstan stammenden Eltern die Schulen in der Region besuchen. Seit den späten 80er-Jahren sind viele Menschen mit deutschen Wurzeln als Aussiedler von Kasachsten nach Deutschland gekommen. Allein zwischen 1990 und 2020 mehr als 900 000. Wie sehr die russisch-kasachisch geprägte Kultur auch in Marktredwitz zuhause ist, zeigt ein Erlebnis der Hospitantin. Als sie an der Marktredwitzer Grundschule eine Unterrichtsstunde gestaltete, verabschiedete eines der Kinder Anastassiya Rybolova mit „Do svidaniya“ – „auf Wiedersehen“ auf russisch.

Deutsch ab der ersten Klasse

Trotz der im Vergleich zu Deutschland wenigen Einwohner ist Kasachstan ein Vielvölkerstaat. „Bei uns leben etwa hundert Nationalitäten mit den unterschiedlichsten Religionen.“ Dies sei auch der Grund, warum es das Fach Religion in ihrem Land nicht gebe. Übrigens ebenso wenig wie Sozialkunde oder Politik. Viel Wert werde dagegen auf Sprachen gelegt. Neben den Staatssprachen Kasachisch (einer Turksprache) und Russisch unter anderem auf Deutsch und Englisch. „An unserer Schule beginnt der Deutschunterricht in der ersten Grundschulklasse. Ab der dritten Klasse kommt Englisch hinzu.“ Ihre Heimatstadt Öskemen liegt in einem Vierländereck: Jeweils nicht weit entfernt sind Russland, die Mongolei und China.

Die Logik der Deutschen Bahn

Am vergangenen Wochenende nutzte die Hospitantin die einmalige Chance, eine Freundin in Köln zu besuchen. „Ich fuhr allein mit der Bahn. Als ich abends wieder nach Marktredwitz fuhr, strandete ich leider in Neuhaus/Pegnitz und Herr Niedermeier musste mich abholen.“ Anastassiya Rybolova wusste, dass sie in den Regionalexpress 31 steigen musste. Als am Bahnsteig der Regionalexpress 30 davonbrauste, dachte sie erst, die Nummer 31 werde anschließend kommen. Erst jetzt merkte sie, dass die Nummer 31 an den 30er-Zug angekoppelt war. Nicht nur für Menschen aus Kasachstan ist die Logik der Deutschen Bahn manchmal schwer zu durchblicken.

Pferdemilch muss nicht sein

Mit der bayerischen Küche kann sich die 30-Jährige gut anfreunden. Dennoch freut sie sich auf ihre Leibspeise: Beschbarmak, was „fünf Finger“ bedeutet: Dabei handelt es sich um in einem Topf gekochtes Rindfleisch. Zu diesem gibt es einen Teig aus Eiern, Wasser und Mehl mit etwas Salz, der in der Fleischbrühe gekocht worden ist. Der geschnittene Teig wird zusammen mit dem Fleisch auf einem Brett angerichtet. Darüber kommt eine Sauce aus Zwiebeln, schwarzem Pfeffer und der heißen Fleischbrühe. Typisch Kasachisch sei zudem Kumys, vergorene Pferdemilch. Von der halte sie aber nichts.

WhatsApp in Kyrillisch

Anastassiya Rybolova pflegt einen westlichen Lebensstil. Immer wieder blinken auf ihrem iPhone WhatsApp-Nachrichten in kyrillischer Schrift auf. „Auch wenn manch einer hier in Deutschland denkt, wir wären noch Nomaden: das stimmt so nicht.“ Schon freuen sich die Menschen in ihrer Heimat auf das Snowboarden in den nahen Bergen. „Bei uns in der Stadt liegt noch kein Schnee obwohl es ziemlich kalt ist. Aber auf den Bergen kann man schon Skifahren.“

Und wie unterscheiden sich die kasachischen von den deutschen Schülern? „Im Grunde überhaupt nicht. Es gibt hier wie da aufgekratzte oder auch stille Klassen. Es sind Jugendliche, ganz einfach.“