Widerstand im Grenzland

Es gibt so viele Themen, die im Unterricht zu kurz kommen, oder die nicht spezifisch auf die Region, aus der die Jugendlichen kommen, zugeschnitten sind. Die deutsch-tschechische Projektwoche „Der Widerstand im 2. Weltkrieg in unserer Gegend“ füllt eine solche Lücke im normalen Geschichtsunterricht mit seiner konkreten Fragestellung sehr genau. Die Gruppe, die das Projekt „Widerstand im Grenzland“ bearbeitete, setzte sich aus Schülerinnen und Schülern der Realschule Frantiskove Lazne (Franzensbad), aus der Realschule in Kemnath, aus dem Otto-Hahn-Gymnasium in Marktredwitz und dem Christian-Doppler-Gymnasium aus Prag zusammen. Die Marktredwitzer Gymnasiastinnen und Gymnasiasten stammten aus den Jahrgangsstufen 9 bis 11 und wurden von den Oberstudienräten Mary Möller und Florian Küfner begleitet.
Der Projektleiter, Herr Alois Hartl, begleitete im siebten Jahr das Projekt, das diesmal in der Jugendbegegnungsstätte Liba stattfand. Bei winterlichen Temperaturen wanderte die Gruppe zum Auftakt auf dem sog. „Grenzwandlerweg“ im Bereich Hohenberg, Liba, Fischern und Hammermühle. Dadurch lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Tagungsort kennen, und konnten auch die geschichtliche Verbindung als Grenzort am „Eisernen Vorhang“ herstellen. Der Zeitzeuge Rudolf Zeitler begleitete die Wandernden und schon hier boten sich Gelegenheiten, mit ihn ins Gespräch zu kommen. Stolz zeigte er seinen Schülerausweis vom damaligen Realgymnasium Marktredwitz, aus dem das heutige OHG hervorgegangen ist, und das er nach dem Krieg besuchte, nachdem „seine Schule“, das Rudolfinum in Eger, zerbombt worden war.
Am Abend begann die Arbeit an Einzelthemen im Konferenzraum. Dabei wurden jeweils deutsch-tschechische Paare ausgelost, die sich gegenseitig nach einem kleinen Interview vorstellen durften. Die Verfilmung des Lebens Sophie Scholls, welche den ersten Abend beschloss, war bewegend und verstörend zugleich.
Am Dienstag, nach dem Frühstück, lösten die Jugendlichen eine heikle mathematische Aufgabe, um zumindest annähernd eine Vorstellung von der ungeheuren Zahl an Opfern des Zweiten Weltkriegs zu bekommen. Dabei erschloss sich die gewaltige Zahl, weil errechnet wurde, dass alle Opfer nebeneinander aufgereiht, fast die gesamte Welt umspannen könnten. Anschließend bekamen die Gruppenmitglieder die „Start Up“-Impulse für die einzelnen Gruppenthemen, die am Ende der Woche präsentiert werden sollten. Das Thema: „Widerstand gegen das NS-Regime“ bildete den Rahmen der diesjährigen Tagung. Alle vertieften nun mittels Quellenstudium die Unterthemen. Intensiv wurde die Arbeit der Sozialdemokraten im Grenzland beleuchtet, die in den 1940er Jahren mit weitreichenden Repressalien zu kämpfen hatten. Der Widerstand im Egerland ging vor allem von den deutschen Sozialdemokraten aus. In der Zeit vor dem Münchener Abkommen unterstützten sozialdemokratische Aktivisten durch illegale Grenzgänge den Widerstand gegen Hitler im Reich. Auch nach dem Anschluss des Sudetenlandes blieb der Widerstand trotz zahlreicher erzwungener Fluchten ins Ausland und Deportationen ins Konzentrationslager intakt. Es bildeten sich beispielsweise Zellen, die durch Sabotageakte das Ende der Naziherrschaft erzwingen wollten.
Ein Höhepunkt war das Interview mit Herrn Rudolf Zeitler, der als Zeitzeuge das Kriegsende „live“ miterlebte. Er war zu dieser Zeit im Alter von 12 Jahren Oberrealschüler in Eger und konnte sehr interessante und berührende Ereignisse sozusagen „aus dem Nähkästchen“ erzählen. Auch wenn für ihn ein „Schülertraum“ in Erfüllung ging: „Stellt euch vor, ihr kommt am Montag zur Schule und das Schulhaus ist abgebrannt bzw. explodiert.“ Dass das im richtigen Leben alles andere als lustig war, konnte er allen Versammelten recht anschaulich darstellen.
Am Nachmittag absolvierten deutsch-tschechische Kleingruppen eine Challenge in Marktredwitz, wodurch auch das historisch gewachsene „Egerland“ und dessen Teilung verständlicher wurden. Fragen nach der Erbauung der Theresienkirche oder nach dem Unterschied zwischen dem bayrischen und dem böhmischen Löwen wurden geklärt. Die Schülerinnen und Schüler nutzten dabei sämtliche Informationsquellen, u.a. auch Passanten und die Tourist-Info.
Die Tagesexkursion führte die Gruppe in die sächsische Landeshauptstadt und begann mit dem Besuch der Ausstellung „Dresden 1945“ des Künstlers Asisi. Durch eine spezielle künstlerische Technik wird der Blick von einem Balkon des Dresdener Rathauses auf die ausgebombte Stadt gezeigt. Hierbei verschiebt sich die Perspektive nicht, obwohl man im „Turm“ nach oben steigt. Ebenfalls wurde die Entwicklung Dresdens vor, während und nach dem Krieg dargestellt und mit Zeitzeugeninterviews ergänzt. Anschließend besuchten alle die Frauenkirche, welche zu DDR-Zeiten im zerbombten Zustand gelassen wurde, um als Mahnmal zu dienen. Der Wiederaufbau erfolgte erst in den 1990er Jahren und wurde teilweise durch Spenden aus ganz Europa finanziert. Auf der Fahrt erzählte Alois Hartl auch von der Bombardierung Prags, welches durch einen Navigationsfehler der Bomberpiloten versehentlich für Dresden gehalten und deshalb bombardiert wurde. Damals gab es eben kein GPS!
Der Besuch des Kriegsgräberfriedhofs in Cheb (Eger) wurde geführt von Herrn Mewes, dem Bezirksgeschäftsführer des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge für Mittelfranken. Im Verlauf seiner Aussagen wurde immer mehr die Sinnlosigkeit dieser Opfer klar und die Hoffnung verstärkte sich, dass sich so etwas keinesfalls wiederholen darf. Auf Grund der mittlerweile wieder sehr winterlichen Wetterbedingungen musste sowohl die geplante kleine Gedenkfeier als auch der Hilfseinsatz bei der Reinigung der Grabsteine unterbleiben. Die anschließende Fahrt zum Amerikanischen Monument der „Big Red One“ und die Erläuterungen von Rudolf Zeitler als Mitglied der „1st Infantry Memorial Association“ verdeutlichte die Situation am Kriegsende.
Am letzten Abend präsentierten die einzelnen Gruppen die Ergebnisse ihrer Arbeiten allen Teilnehmern der Tagung. Dabei erfuhren die Lernenden, dass es eine Reihe von Widerstandskämpfern gab, die aber leider oft scheiterten. Mit kleinen Aufmerksamkeiten wurden die Ergebnisse der Präsentationen sowie die Arbeit der Gruppen gewürdigt. Alois Hartl gab zum Abschluss den Schülerinnen und Schülern folgenden Wunsch mit auf den Nachhauseweg: „Wir wünschen uns, dass die gemachten Erfahrungen und zwischenmenschlichen Kontakte zwischen unseren beiden Nationen uns für lange Zeit im Gedächtnis bleiben und auch dazu beitragen, den europäischen Gedanken in unseren Köpfen zu stärken.“